Eberhard Blum.org | Nachruf

 

 

Prof. Jörn Merkert
Nachruf auf Eberhard Blum
Auf der 42. Mitgliederversammlung der Akademie der Künste, Berlin, am 2. November 2013


Fümms bö wö tää zää Uu
                                                   pögiff,
                                                               Kwii Ee


Wer je die Ursonate von Kurt Schwitters von Eberhard Blum vorgetragen gehört hat, dem wird diese erste Zeile nicht aus dem Sinn gehen, ja, sie wird ihm wie ein Wurm ganz unerwartet unter der Dusche oder beim Autofahren aus dem Gedächtnis ins Ohr dringen.

 

Es gab wohl keinen kongenialeren Rezitator dieses Stücks Urmusik der inzwischen klassischen Moderne des 20. Jahr- hunderts, das er seit 1975 über 100 Mal aufführte, auch häufig in der Akademie am Hanseatenweg, und zwei Mal auf CD einspielte.

Wir haben uns Ende der 70er Jahre kennengelernt, als ich ihn einlud, die Ursonate im Kunstforum Rottweil vorzutragen, das ich damals neben meiner Arbeit an der Nationalgalerie betreute. Seither haben wir uns nie aus den Augen verloren. Und da erst lernte ich ihn als einen ganz ungewöhnlichen, im Vortrag ebenso lebendigen wie passionierten Flötisten und Performer der Neuen Musik kennen. Als ich Mitte der 80er Jahre von der Akademie an die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf gewechselt war, lud ich ihn ein, für den Januar 1986 eine Konzertreihe im Neubau zu konzipieren und durchzuführen, die dem Düsseldorfer Publikum ganz unerhörte Musik um die Ohren wehte: von Morton Feldman, Hans Otte, John Cage bis zur japanischen Shakuhachi-Flöte und schließlich einer visuellen und akustischen Komposition von ihm selbst und seiner Frau Ann Holyoke Lehmann Phasen. Seither lud ich ihn so oft wie möglich zu Kooperationen im Museum ein, vor allem seit 1987 in der Berlinischen Galerie, wo er zur Neupräsentation der Sammlungen „Positionen der Moderne“ mit Varèse, Schwitters, Stockhausen, Boulez, Xenakis und Feldman zusammenstellte, dann zu der legendär gewordenen Ausstellung „Stationen der Moderne“ 1988 ein musikalisches Programm zu den „Stationen der musikalischen Moderne“, die Kompositionen von Schönberg, Webern, Busoni, Duchamp, Hindemith, wieder natürlich Schwitters bis zu Giacinto Scelsi und vielen anderen zu Gehör brachten.

New York, 1978                                 Photo © Klaus T. Moser


 

Ich will jetzt nicht noch alle anderen Konzerte und Konzertreihen, die er bei mir in der Berlinischen Galerie und auch in anderen Museen realisierte, aufzählen. Aber Eberhard und die Museumsleute liebten es, seine Konzerte an diesem gleichsam Musikfremden Ort vor einem umso neugierigeren, aufmerksamen Publikum aufzuführen.

 

Ich konnte mich aus der Sicht des Museumsdirektors im Wortsinne „blindlings“, aber auch mit meinen für zeitgenössische Musik damals noch etwas „tauben“ Ohren rundum auf ihn verlassen—auf seine Professionalität als aufführender Musiker; auf seine konzeptionellen Fähigkeiten, genau durchdachte Programme im Dialog mit der Bildenden Kunst zu entwickeln; in ganz besonders hohem Maße aber auch auf sein internationales Netzwerk zu Musikern der besonderen Art, um die kongenialen, besten Interpreten für die jeweilige Sache zu gewinnen, wie zum Beispiel immer wieder Nils Vigeland für Klavier und Celesta oder Jan Wiliams für Schlagzeuge aller Art—neben vielen anderen, treuen und Eberhard eng verbundenen Meistern aus aller Welt. Und dann gab es noch ein Weiteres, für Museumskonzerte besonders Wichtiges: Eberhards Fähigkeit der Vermittlung gegenüber einem Publikum, das in der modernen und zeitgenössischen, der sogenannten „Neuen Musik“ wenig erfahren war; die Menschen zum Hören mit offenen Ohren und staunend offenen Augen anzuhalten. Dafür haben wir ihn dann 1995 auch mit dem „Friedlieb Ferdinand Runge-Preis für unkonventionelle Kunstvermittlung“ der Stiftung Preußische Seehandlung in der Berlinischen Galerie ausgezeichnet.


Denn es war damals immer noch etwas Außergewöhnliches, Musik des 20. Jahrhunderts und der „Neuen Musik“ einem nicht-spezialisierten Publikum zu Gehör zu bringen. Wenn es sie überhaupt im üblichen klassischen Musikbetrieb gab, gingen meistens „nur“ die bereits aufgeklärten Zuhörer mit geputzten Ohren dorthin. Die meisten wagten sich gar nicht erst hinein. Ertönte sie spät abends oder als Nachtprogramm im Radio, drehte der „normale“ Musikinteressierte ab. Mir selbst ging es ja nicht unähnlich. Warum gelangte damals mein Musikverständnis kaum über Schönberg hinaus, während mit Kandinsky und dem Blauen Reiter doch so vieles in der klassischen Moderne begann? Eigentlich eine skandalöse Situation für einen Museumsmenschen. Und vielen, sehr vielen ging es ähnlich wie mir. Eberhard Blum hat mir mit seinem Schaffen geholfen, mich aus dieser selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien. Und auch das Museumspublikum nahm dieses Angebot dankbar an, war es durch die Bildende Kunst doch gewohnt, immer wieder mit scheinbaren oder tatsächlichen Provokationen konfrontiert zu werden, hatte sich also inzwischen immer wieder gehörig die Augen gerieben. So war es auch eher bereit, an vertrautem Ort, im Museum und eben nicht im Konzertsaal, die Ohren aufzusperren. Ich werde nie vergessen, wie in einer Pause eines der Spätkonzerte der langen Museumsnacht im Januar 1989 zu den „Stationen der musikalischen Moderne“ im Museumscafé ein grünbehaarter Punker zu seiner lilalenen Freundin über ein gerade gehörtes Feldman-Konzert sagte: „Eh, echt geil, wa? nachts ins Museum zu gehen und Neue Musik zu hören!“


Ich bin nicht kompetent genug, den musikalischen Lebensweg von Eberhard Blum mehr als zu skizzieren. Er wurde am 14. Februar 1940 in Stettin geboren, von wo seine Mutter mit ihm nach der Bombardierung seiner Geburtsstadt 1944/45 auf verschlungenen Stationen nach Stralsund flüchtete, wo er aufwuchs. Sein Vater ist aus dem Krieg nie zurückgekehrt. 1960 flüchtete er nach West-Berlin, wo er gleich im Herbst an der Hochschule für Musik bei Aurèle Nicolet sein Studium als Flötist beginnen konnte. Es war auch Nicolet, der ihn 1962 ermunterte, erstmals an den „Internationalen Ferienkursen für Neue Musik“ in Darmstadt teilzunehmen. Daraus erwuchsen sehr schnell—bei stets genauestem Studium der besonderen Erfordernisse und Spielkünste zeitgenössischer Musik—Aktivitäten, Konzerte mit neuer und experimenteller Musik. Und schon bald gründete er zusammen mit unserem Mitglied Erhard Grosskopf die „Gruppe Neue Musik“.


1971 begegnete er Morton Feldman, der als DAAD-Stipendiat in Berlin lebte. Feldman holte Eberhard Blum bis Ende der 70er für mehrere Jahre immer wieder an das Center of the Creative and Performing Arts an der State University of New York at Buffalo. Nils Vigeland, Jan Williams, Morton Feldman und eben Eberhard Blum bildeten zusammen das Ensemble „Morton Feldman and Soloists“, das sich vornehmlich mit Feldmans Spätwerk auseinandersetzte, auch nach dessen Tod 1987. Um Blums Freund Volker Straebel aus der Trauerrede bei der Beerdigung am 5. April 2013 zu zitieren: „Eberhard Blum wurde zur künstlerischen Instanz in Sachen Cage, Feldman, Brown und Wolff, Stockhausen, Bernd Alois Zimmermann, Haubenstock-Ramati, Takemitsu, Hosokawa, Grosskopf und Fritsch. Die zahlreichen Einspielungen sind Referenzaufnahmen seines Repertoires. … Mir erschien Eberhard … mitunter als das Gewissen der „Neuen Musik“.“


Warum skizziere ich eigentlich seinen musikalischen Lebenslauf? Nun, Eberhard Blum war nicht etwa—wie ja durchaus zu erwarten gewesen wäre—Mitglied der Sektion Musik dieser Akademie, sondern der Sektion Bildende Kunst. Seit 1980 arbeitete er auch als Bildender Künstler. Genauer: als Zeichner. Und als solchen haben ihn die Mitglieder schließlich 2004 in unsere Sektion gewählt. Denn mit seinen Zeichnungen hatte es etwas ganz besonderes auf sich. Dem ersten, flüchtigen, unkundigen Blick mögen sie als noch eine Spielart der Abstraktion erschienen sein, manches Mal gestisch, meist aber streng konstruktiv, viele auch der Stilhaltung der konkreten Kunst verbunden. Die meisten allerdings entstanden nach und waren visuelle Spiegelungen und Gleichnisse von Konzepten und Prinzipien der Neuen Musik. Die Offenheit der Zufälle spielte eine wichtige Rolle, das Serielle, betont zeitliche Abläufe, widersprüchliche Schwebezustände oder die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die ja ohnehin visuelles Charakteristikum eines Bildes ist. Er liebte es aber besonders, sich für eine Zeichnung eine bestimmte Spiel-Regel zu setzen, die strikt befolgt werden musste. Zum Beispiel nur spitze oder nur rechte Winkel oder ausschließlich Schrägen und Kurven zur Beschreibung einer geschlossenen, ununterbrochenen Form zu benutzen. Immer folgen seine Zeichnungen einem klaren Konzept. Doch das Ergebnis kennt auch der Künstler nicht im Voraus. Die Ergebnisse sind so vielfältig und überraschend—auch für Eberhard Blum—wie die Gestaltwirkung der Natur. Oder die Aufführung einer Partitur.


2001 hat Eberhard Blum seine musikalische Aufführungspraxis eingestellt und widmete sich im Kampf gegen seine Krankheiten ausschließlich seiner bildnerischen Arbeit. Er hinterlässt nicht nur über 30 CDs, sondern ein schon allein zahlenmäßig gewaltiges zeichnerisches Œuvre, aus dem noch viele Schätze zu heben sind. Am 5. März 2013 ist Eberhard Blum nach schwerem Leiden für immer von uns gegangen.


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